IFHandwerk e.V.

Erdrutsch bei Handwerkskammern: Nur noch 30% der Mitgliedsbetriebe in der Anlage A von Meistern als Inhaber geprägt

Diese Zahlen sind eine kleine Revolution: Nur noch rund 30 Prozent aller in den Handwerkskammern organisierten Handwerksbetriebe (Anlage A) sind von Handwerksmeistern inhabergeführte Betriebe. Zu diesem Ergebnis kommt der Interessenverband Freier Handwerker (IFHandwerk) auf der Basis einer Analyse der Betriebsstatistiken anlässlich seines 10jährigen Verbands-Jubliäums, deren Ergebnisse im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL (Nr. 13/2012: „Die Tunix-Regierung“) vorab veröffentlicht wurden. Die Handwerksszene ist bunt und vielfältig, der klassische inhabergeführte Meisterbetrieb ist längst in der Minderheit, urteilt IFHandwerk-Geschäftsführer Michael Wörle. Die „Meisterdichte“ als Kennziffer ist auf dem historischen Tiefststand, sie ist so niedrig wie nie zuvor in der Geschichte des Handwerks. „Statt Zwangsvorschriften sind Markt und Wettbewerb in das Handwerk eingezogen: Der Verbraucher hat wirklich die Wahl,“ so Wörle. „Gut für den Verbraucher und die Branche.“

Im Detail: Nach Statistiken der Handwerkskammern gehören heute 60 Prozent der Mitgliedsfirmen zu den klassischen, von einem in die Handwerksrolle eingetragenen Meister geführten Beitriebe (Anlage A der Handwerksrolle). 40 Prozent sind zulassungsfreie und handwerksähnliche Betriebe (Anlagen B1 und B2). Vor 30 Jahren lag deren Anteil noch bei knapp 10 Prozent. Die Zulassungsfreien haben sich somit vervierfacht. Jedoch muss man von den 60 Prozent noch die 17 Prozent der Betriebe abziehen, die durch eine Ausnahme- oder Altgesellenregelung nicht von einem Meister geführt werden. Hinzu kommt eine geschätzt ebenso hohe Dunkelziffer von Firmen, bei denen nur pro forma ein Meister angestellt ist, so Wörle. Übrig bleiben dann kaum noch 30 Prozent der Kammermitglieder.

Fazit: Die Unternehmen, die dem Meisterzwang entwichen sind, sind längst in der Mehrheit und sorgen dafür, dass sich die Kammern ändern müssen. Aber haben die Kammern das selbst schon gemerkt?

Der Verband sieht den Gründungsboom und die neue Vielfalt im Handwerk als das Ergebnis der 2004 umgesetzten Liberalisierung. Seitdem gehören nur noch 53 der ursprünglich 94 Gewerke zu den zulassungspflichtigen (Meisterzwang). Wir schließen uns der im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL veröffentlichten Prognose an: Würde die Handwerksordnung komplett reformiert, würde sich die Zahl der Firmen hierzulande weiter drastisch erhöhen, so Wörle. Die Gesetzesnovelle hat dieses gezeigt, wohin der Trend geht.

Von der Leyen: Handwerkerpflichtversicherung soll fallen!

Sie wollten in die Handwerksrolle, ohne Meisterbrief versteht sich. Konsequenz: neben den Beiträgen an die Handwerkskammer zahlen Sie nun plötzlich jeden Monat zusätzlich auch 400-500€ Pflichtbeitrag an die Rentenkasse. Das soll sich nun ändern: die Handwerkerpflichtversicherung soll abgeschafft werden. Kommt damit auch mehr Gerechtigkeit?

Das sieht das derzeitige Rentenpaket der Bundessozialministerin Ursula von der Leyen vor. Damit würde ein wichtiges Ziel des IFHandwerk e.V. erfüllt werden. Denn die freie Handwerksausübung ist nicht vereinbar mit der Handwerkerpflichtversicherung. Hierunter leiden vor allem die, die nach der Handwerksordnung eintragungspflichtig sind und keine GmbH führen. Ihnen wird die freie Wahl ihres Rentenversicherungsanbieters verweigert wird.

Eine Ungleichbehandlung wird abgeschafft werden, wenn das Rentenpaket durchkommt. Allerdings hat das Ding einen „Pferdefuß“:

Denn zugleich bringt die geplante grundsätzliche Wahlfreiheit wohl auch den Nachweis einer ausreichenden Absicherung für alle Selbstständigen (bis zum 50. Lebensjahr) mit sich. Das bringt Bürokratie und nach einer Schonfrist höhere Kosten für viele Selbstständige mit sich. Gründen wird somit auf den 1. Blick teurer. Ob sich damit die Altersarmut als gesellschaftliches Problem beseitigen lässt? Ob die Ungleichbehandlung von angestellten Geringverdienern, deren Rente bis 850€ bezuschusst werden soll, und selbstständigen Geringverdienern (vermutlich ohne Zuschuss) vermieden wird? Wir leben noch immer in einer Arbeitnehmergesellschaft. Selbstständige gelten tendentiell immer als reich. Wir werden sehen. Zur Zeit wird debattiert, dann wird irgendeine Entscheidung getroffen. Eines ist aber jetzt schon klar: Das ist eine epochemachende Entscheidung. Wir wissen nur noch nicht, wer sich mehr darüber freuen wird. Handwerker ohne Meisterbrief oder eingetragene Handwerksmeister.

Schwarzarbeit sinkt auf historischen Tiefststand

Die Konjunktur brummt und deshalb hat die Schwarzarbeit einen historischen Tiefststand erreicht. Schwarzarbeit ist so gering wie seit 18 Jahren nicht mehr. 13,4% der gesamten Wirtschaftsleistung entfallen in Deutschland auf den Schwarzarbeitssektor, in der Schweiz sind es 8%, in Griechenland 20%, so Prof. Schneider von der Universität Linz. Traditionell sind die Abgabenbelastung und Bürokratie Faktoren, die Schwarzarbeit fördern. Im Handwerk ist es vor allem der Marktzutritt, der durch Handwerkskammern und Behörden erschwert wird. Entscheidend ist auch, dass Behörden seit Jahren nicht sagen können, was erlaubt und was verboten ist. „Das Bundesministerium für Wirtschaft müsste die Bundesländer stärker an die Leine nehmen“, sagt IFHandwerk-Geschäftsführer Michael Wörle. „Hier wird seit Jahren ein unwürdiges Versteckspiel gespielt und die Verantwortung hin und hergeschoben“, kritisiert Wörle. Der IFHandwerk setzt sich dafür ein, dass Handwerker ohne Meisterbrief mehr Rechtsklarheit bekommen. Die Befreiung zahlreicher Handwerksberufe wie z.B. der Fliesenleger vom Meisterzwang war ein wichtiger Schritt in die Richtung Entbürokratisierung. „Wir begrüßen alles, was Selbstständigen das Leben leichter macht“, sagt der IFHandwerk-Geschäftsführer. „Hier ist jedoch noch viel zu tun.“

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Gründungszuschuss: Anträge noch bis Oktober stellen

Der Existenzgründungszuschuss wird zwar nicht abgeschafft, aber deutlich eingeschränkt. Die Bedingungen werden verschlechtert werden. Da das als „Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt“ Gesetz Teil eines Sparpaketes ist, droht den Arbeitsagenturen möglicherweise schon im November das Geld auszugehen. Wenn Sie sich also im Handwerk selbstständig machen wollen und (ungekürzte) Leistungen in Anspruch nehmen wollen, dann sollen Sie sich beeilen. Stellen Sie Ihre Anträge unbedingt vor Oktober, da auch andere jetzt Anträge vorzeitig stellen werden und somit ein Bearbeitungsstau entstehen kann. Wie Sie Ihre Gründung handwerksrechtlich sauber hinbekommen, erfahren Sie als IFHandwerk-Mitglied über unsere Beratungshotline.

Weitere Tipps und Tricks zu Arbeitslosenunterstützung finden Sie auch in folgendem Ratgeber:

Rolf Winkel, Hans Nakielski: 111 Tipps für Arbeitslose – Arbeitslosengeld I
13. Auflage, Bund-Verlag 2011, 277 Seiten (ISBN: 978-3-7663-6025-0)
Herausgeber: DGB-Bundesvorstand, Preis: 12,90 Euro

Endspurt: Gründungszuschuss wird abgeschafft

Gerade hat das Bundeskabinett umfangreiche Kürzungen beim Gründungszuschuss beschlossen, die bereits im Herbst diesen Jahres in Kraft treten sollen. Das schreibt der Informationsdienst Gründungszuschuss von Andreas Lutz. Wenn Sie vorhaben, in nächster Zeit sich selbstständig zu machen, dann tun Sie es sicherheitshalber vor dem 1.11.2011, um vom Gründungszuschuss in der alten Form zu profitieren. Wie Sie sich im Handwerk ohne Meisterbrief selbstständig machen, erfahren Sie wie immer beim Interessenverband der freien Handwerkerinnen und Handwerker e.V. Rufen Sie an: 040 – 399 00 167. Oder schicken Sie uns eine E-Mail.

Bitte informieren Sie auch alle Gründungswilligen und Arbeitslosen in Ihrem Bekanntenkreis, schreibt Lutz weiter! Und diesen Aufruf reichen wir gerne weiter. Möglichst viele von Ihnen sollten von den Änderungen erfahren und so die Chance erhalten, ihre Gründung vorzuziehen. Wer den Stichtag verpasst, erhält eine geringere oder unter Umständen gar keine Förderung mehr.

Unter www.gruendungszuschuss.de/index.php?id=52 finden Sie laufend die neuesten Meldungen zum Thema. Der Protest gegen diese Sparmaßnahme sollte viele erreichen, die finden, dass Deutschland mehr Existenzgründerinnen und -gründer braucht. Die Quote der Selbstständigen ist in Deutschland besonders niedrig. Da sollten solche Instrumente erhalten bleiben.